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Der Desperado und die Seemöwenfrau auf Tigerjagd in Indien

Wie ich in Sachen Musik "sozialisiert" wurde...

An meinem elften Geburtstag stand sie plötzlich – getarnt als sepiagetönte Musikcassette - vor mir: Die Seemöwenfrau. Ich wusste instinktiv, dass dies der eine entscheidende Moment meines Lebens war: Ich ließ das Kind zurück. Aus dem Nichts erschienen mir ihr Gesicht, ihr dunkles Haar, das geheimnisvolle Lächeln.  Ihre dunklen Augen verengten sich ganz leicht, so leicht, dass es außer mir niemand zu bemerken schien. „Komm mit mir“, hieß das. Ich zögerte keine Sekunde.

“One day she came like a seagull woman, one day she came.
One day she came like a seagull woman, one day she came, one day.
One day we change from children into people, one day we change.
One day she went like a seagull woman …”

Ob meine Eltern wussten, was sie da anrichteten, als sie mir im Oktober 1971 den Loewe Opta-Radiorekorder zum Geburtstag schenkten? Ich war jedenfalls begeistert: Die neueste Technik – in meinem Kinderzimmer! Und dazu zwei bespielte Musikcassetten: eine von Heintje, eine von T. Rex. Von wem?

Die Musik als solches hatte sich mir längst erschlossen. Da waren beispielsweise die Lieder der fabelhaften Kindersendungen, wie etwa „Der Hase Cäsar (mit Assistent „Aaaaaarnooooo!“)“, die jährliche Peter Alexander Show (der ich meine frühe Schwärmerei für Heintje zu verdanken hatte), die Erkennungsmelodien meiner Lieblingsserien („Mit Schirm, Charme und Melone“: Emma!) oder die großen, wirklich großen Winnetou-Filme. Wie viel Gefühle in mir beim Hören der Winnetou-Titelmelodie mitschwingen, wurde mir dennoch erst klar, als ich viel später, zusammen mit Frau und Kindern, einmal die Segeberger Karl-May-Festspiele besuchte. Nach einer angemessenen Wartezeit ertönte plötzlich aus allen Lautsprechern der unsterbliche Martin Böttcher-Klassiker und Second-Hand-Indianer Gojco Mitic, hoch auf einem schwarzen Rappen posierend, nahm die Bühne im Sturm. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Für einen Moment setzten sämtliche lebenserhaltenden Funktionen aus und ich ließ meine gesamte Kindheit in den 60er Jahren Revue passieren. In Technicolor selbstverständlich. Aber natürlich sah ich nicht Mitic, sondern Pierre Brice. Und neben ihm: Nein, nicht Lex Barker. Obwohl der ganz okay war. Ich stand neben dem stolzen Indianer und ließ meinen Blick über die Prairie schweifen. Und staunte ganz nebenbei wieder einmal darüber, was eine vermeintlich simple Melodie in mir auszulösen vermochte.

Heintje hatte ich 1971 schon ziemlich überwunden und mit den Schlagerstars, für die mein älterer Bruder schwärmte konnte ich nicht viel anfangen. Für Neugier sorgte höchstens diese komische Beatles-LP, die er seit Monaten auf der Wega-Kompaktanlage durchnudelte. Wahrscheinlich hatten meine Eltern mir den Radiorekorder eh nur geschenkt, damit ich endlich die Finger von der Anlage meines Bruders ließ. Na gut. T. Rex also. Mal sehen, mal: hören.

Thomas, Burkhard, Thorsten und ich wurden zu Kindern von Rarn. Und so streiften wir zu viert durch den (heute längst zugebauten) Wald zwischen Buxtehude und Neukloster. Wir trugen den Loewe Opta abwechselnd. Und wochenlang lief die T. Rex-Cassette. Jedenfalls solange die Batterien hielten.

Ich glaube: In diesen Tagen verschmolz die erste LP, die Marc Bolan unter dem Namen „T. Rex“ veröffentlichte und die so fulminante Lieder wie das knapp neunminütige hypnotische „The Wizard“ und das viel versprechende „The Time For Love Is Now“ enthielt, in meinen Ohren und in meinem Herz für immer und ewig mit diesem Herbst 1971, mit den Wanderungen durch den Neukloster Forst und mit den tiefschürfenden Gesprächen pubertierender Jungs, die ihren ersten Schritt in Richtung Erwachsen werden machten.

„I want to give every childe the chance to dance“, sang Marc Bolan mit einem gefährlichen Unterton. Und wahrlich: Wir tanzten bis zum Umfallen.

Marc Bolan war bis zur Mitte der Siebziger Jahre ein fester Begleiter und auch die Folgealben wie „Tanx“ , „The Slider“ oder „Bolan Boogie“ bohrten sich nachhaltig in Gehörgänge, sowie in die zeitweise noch recht undurchschaubaren Gefilde unterhalb der Gürtellinie: Bolan war heiß! Fast so heiß wie Susanne Burwieck aus der gleichen Straße… aber das ist eine andere Geschichte.

Neben den Mädchen aus der Nachbarschaft spielten neue musikalische Entdeckungen eine recht große Rolle – für die nächsten vierzig Jahre. Wichtigstes Hilfsmittel wurde zunächst ein angesehenes Fachblatt für moderne Musik: Bravo. Gleichberechtigt in Sachen Musik: Wolf-Dieter Stubel und die Internationale Hitparade, jeden Samstag auf NDR 2. Der absolute Oberhammer: Mit dem Loewe Opta konnte ich die Lieder vom Radio aufnehmen! Das dabei der Beginn und das Ende manchmal fehlten: was soll’s. Dafür war das Gequatsche von Wolf-Dieter weg.

Die nächsten Entdeckungen waren die anderen Helden des Glam-Rock: Alice Cooper, Slade und Sweet. Alice Cooper war in der Musik vielleicht das, was später Stephen King in der Literatur – für mich- werden würde: die Verkörperung des Bösen, der Meister der Verlockung, das Versprechen einer satanisch süßen Belohnung für jede böse Tat, von der ich nur zu träumen wagte. Natürlich waren da die Hits, „School’s Out!“, „No More Mr Nice Guy“. Aber es war ein Cello, das mich fürs Leben anrührte. „Desperado“ fasste alles in Worte, was Alice Cooper für mich war – und was ich in dunklen Stunden sein wollte:

“I'm a gambler and I'm a runner
But you knew that when you layed down
I'm a picture of ugly stories
I'm a killer and I'm a clown”

Und das Cello bohrte sich mit jedem Hören tiefer in mein Herz …

Ich weiß noch, wie im Jahr 1974 jeden Tag, manchmal mehrmals, „Everyday“ im Radio lief. So wie – meiner Meinung nach – Queen nichts ohne Freddie Mercury ist, ist eine Gruppe wie Slade für mich nicht ohne die schneidende, zupackende, Kettensägen-Stimme von Noddy Holder denkbar. Ich erinnere mich an eine dieser Kellerfeten, bei denen ich ebenso regelmäßig wie vergeblich den Schönheiten der 7. Und 8. Klasse hinterher schmachtete. Da blieb Zeit genug, sich um die Musik zu kümmern. Und eines Tages stolperte ich über „Slade Alive!“, im knallroten Cover – erinnerte irgendwie an das Che-Poster. Das letzte Lied auf der zweiten Seite, eine brachial-geniale Coverversion von „Born To Be Wild“ zerschmetterte mich. Noch wusste ich nichts von Led Zeppelin, aber auch so ist es für mich nach wie vor schwer vorstellbar, dass eine Gruppe mehr Druck entwickeln kann als Slade bei diesem Konzert. Man hört wie sich Noddy Holders Lungenbläschen in der ganzen Halle verteilen, die Gitarren würden eine deutsche Eiche zersägen und das Schlagzeug hat sich längst von allen irdischen Einflüssen losgesagt. Das ist entfesselte Energie pur! Noddy Holder bekam irgendwann einmal einen MBE von der englischen Königin. Zu Recht, wie ich meine.

Und doch: „One Way Hotel“ ist das Slade-Lied, das mir auch heute noch, mehr als dreißig Jahre später, nicht mehr aus dem Kopf geht und auf zig selbstgebrannten CD-Samplern immer wieder für Irritationen sorgt. Die schlichte Instrumentierung, der Country-Einschlag, Noddys berührender Gesang und der verstörende Text halten mich noch immer fest:

„I've now spend a year behind this door, the doctors would see me no more.
They asked me to sign with a pen on the line: I was done for…“

Sweet dagegen haben mich erst gepackt, als ihre Karriere fast schon zu Ende war. Klar rotierten „Ballroom Blitz“ und „Blockbuster“ auf meinem tragbaren Wifona-Schallplattenspieler. Ich blieb ihnen sogar treu, als Bravo enthüllte, dass sie auf ihren alten Scheiben „Co Co“, „Funny Funny“ et al, gar nicht selbst gespielt hatten. Das kannten wir ja bereits von den Monkees. Trotzdem schien mir ihre Musik zu eindimensional. Das änderte sich für eine LP: „Sweet Fanny Adams“. Ein Hammersong nach dem anderen. Besonders fielen mir die Tempo- und Arrangementwechsel auf. Bei „Into The Night“ etwa die Friedhofsatmosphäre, die sich mitten im Lied auftut. Das passte gut zu den Horror-Comics, die ich neuerdings las. Und in der Abgeschiedenheit meines Kinderzimmers, zwischen immer mehr Beatles-LPs, Konsalik- und Simmel-Büchern und einer stetig wachsenden Sammlung von Bravo, Pop, Popfoto und Rocky hatte ich endlich Gelegenheit zum gefälligen Headbanging.

Warum sammeln wir immer weiter? Was bedeutet diese Suche nach der perfekten LP/CD, nach dem perfekten Lied? Ich weiß es nicht, kann nur vermuten. Vielleicht ist es die Hoffnung, dass sich ein Moment wiederholen wird, der doch so schwer zu wiederholen ist: die Entdeckung einer LP ohne jeden Hänger. Eine im wahrsten Sinne runde Sache. Was sich nach landläufiger Meinung auf die Platten der Beatles zu beschränken schien, schaffte – für meine jugendlichen Ohren – auch Pilot. Die Band – mit Produzent Alan Parsons an den Reglern - schuf mit „From The Album Of The Same Name“ ein ebenso abwechslungsreiches wie in sich perfektes Werk. Jeder Ton war dort, wo er hingehörte. Keine Schwachstelle. Dafür perfekte melodische Spannungsbögen, orale Punktlandungen und instrumentelle Stimmungsbilder, die perfekt zum WM-Sommer 1974 passten. Was ist eine musikalische Operation? Wenn man gezwungen wird, ein Lied aus dieser LP herauszulösen. Die Lp ist auf CD übrigens schwer zu kriegen. Ich habe mir vor vielen vielen Jahren mal eine japanische Import-Version geordert. Und die vermodert in irgendeinem Umzugskarton. Naja. Zum Glück gibt’s ja das Internet. Als Alternative zu „Over The Moon“ hatte ich lange Zeit „Auntie Iris“ im Sinn. Ein Beispiel für die englische Vaudeville-Tradition, die sich auch in „When I’m 64“ widerspiegelt. Aber die Spezialisten für Vaudeville-Elemente sind eh die Bonzos.

Beatles-Fans kennen die Bonzo Dog Band (deren Name immer mal zwischen Bonzo Dog Da Doo Band und Bonzo Doo Dog Baa oder Bonzos Dog Band oder Boo Dog Baa Band wechselte) aus dem Film „Magical Mystery Tour“. McCartney produzierte ihren einzigen Hit: „I’m The Urban Spaceman“ und kein geringerer als Rutle Neil Innes war lange Zeit Mitglied. Alleine deshalb kann ich jedem nur raten, sich die CDs zuzulegen. Alle! Für anglophile Musikliebhaber ist die Band das musikalische Äquivalent zur Kultserie „Mit Schirm, Charme und Melone“. Nur dass Vivian Stanshall nicht halb so gut aussieht wie Diana Rigg. Aber dafür sind die Texte eine echte Ohrenweide. Der Sprung in Richtung Monty Python ist kein weiter:

“I say, Joe (?), it’s jolly frightening out there.”
“Nonsense, dear boy, you should be like me.”
“But look at you! You’re shaking all over!”
“Shaking? You silly goose, I’m just doing the watusi, that’s all.”

Neil Innes hat bei mir eh einen Stein im Brett. Vor Jahren schrieb ich ihm eine E-Mail und fragte ganz höflich, wo man denn seine gesammelten LPs und CDs bestellen/kaufen könne. Ich bekam eine Antwort von einem Freund Innes aus Schottland. Der bot mir an, alle möglichen Innes-, Bonzo- und Rutles-Raritäten als MP3-CDs gen Deutschland zu schicken. Insgesamt 13 CDs, vollgestopft mit MP3s für sehr anständige 30 Euro. Ich war platt.

Seitdem werbe ich für Neil Innes, wo und wie ich kann. Was ich hiermit tue: Neil Innes ist zwar nicht Gott, aber ganz nahe dran! So eine Art Untergott. Irgendwo zwischen dem Erzengel Gabriel und Mutter Theresa.

Hm. Ich komme gerade vom Weg ab. Wo waren wir? Richtig: Im Sommer 1974.

Nach der Schule – und gelegentlich auch zwischendurch – hing ich entweder im Café Lühning ab und flirtete mit den Kellnerinnen oder hockte beim größten HiFi-Spezialisten der Kleinstadt auf einem Drehstuhl und hörte Singles durch. Die Auswahl war groß, die Wahl war schwer. Vor allem, weil ich die Interpreten in der Regel noch nie gehört hatte. Bei Wolf-Dieter auf NDR2 blieb die Zahl der wirklich neuen Bands sehr überschaubar. Ein paar Jahre lang dominierte Neil Young mit „Heart Of Gold“ die Funkwellen – und verpasste mir eine lang anhaltende Crosby, Stills, Nash & Young-Phobie, die ich erst im 21. Jahrhundert vollständig überwand. Meine größten Entdeckungen waren Queen, Cockney Rebel und – ich schäme mich nicht: die Bay City Rollers. Lange bevor sie Schlaghosen durch aufgenähte Schottenmuster untragbar und ihre Lieder durch grelles Outfit und unmögliche Frisuren unhörbar machten, stieß ich auf ihre erste in Deutschland verkaufte Single: „Saturday Night“. Hört sie Euch an, ist gar nicht schlecht. Das Problem: Alle anderen Lieder der Band sind grottig. Und laut der Biographie, die mir ein wohlmeinender Freund einmal geschenkt hat, waren sie auch menschlich alles andere als leuchtende Vorbilder. Genug von ihnen.

Alle Jubeljahre einmal horchte ich mit allen Sinnesorganen auf. So war es bei „Judy Teen” von Cockney Rebel. Steve Harley faszinierte mich. Als Kind mit Kinderlähmung geschlagen, hatte er es doch an die Spitze der britischen Charts gebracht. Mit einem Gesangs- und Performance-Stil, der irgendwo zwischen einem zugedröhnten Joe Cocker und einem ebenfalls recht weggetretenen Peter Gabriel lag. Die Texte blieben mir lange Zeit ein Rätsel. Egal da war eine gemarterte Seele, die sich auf den Grund allen Übels durchgewühlt hatte und die uns jetzt mitteilen wollte, ob es sich lohnt dort vorbeizuschauen: „Lead me away, come inside, see my mind in kaleidoscope.“ Sebastian ging voran. Ich folgte.

Irgendwann in den Neunzigern war Steve Harleys Karriere so den Bach runter gegangen, dass er sogar in der Nähe von Lüneburg auftreten musste. Mein bester Freund und Sangespartner Uwe Köpke und ich nutzten diese Chance. Zusammen mit rund 50 Unverdrossenen harrten wir im Dunklen des Clubs aus, bis wir den Moment für gekommen hielten. Dann traten wir an die Bühne und überreichten Steve Harley einen DINA4-großen Umschlag. Inhalt: ein überaus netter Begleitbrief in feinstem Oxford-Englisch („Dear Steve Harley, we always loved your music more than anything else in the world, except maybe for a few songs by the Beatles. And our own!”.

Wir schmierten ihm hemmungslos so viel Honig wie möglich um den Bart, dass er eigentlich denken musste, wir seien zwei schwule Lüneburger, die ihm jetzt einen linksdrehenden Joghurt oral verabreichen wollten. So ähnlich sah er uns jedenfalls an. Tatsächlich hatten Uwe und ich ein Lied geschrieben, „Girl In The Audience“, das wir für besser hielten, als alles, was Harley je geschaffen hatte. Das schrieben wir auch so. Und als Beweis lag dem Umschlag eine Cassette mit einigen unserer Aufnahmen bei. Dies Bild: Harley mit dem Umschlag in der Hand – ich werde es nie vergessen. Er trat nie wieder im Raum Lüneburg auf…

Auf jeden Fall hatten seine Texte weitaus mehr Inhalt, als die der Bay City Rollers. Zumindest was mir unbekannte Vokabeln betraf. Aber es scheint mir bei vielen Liedern gar nicht so darauf anzukommen, das einem der gesamte Text inklusive aller sublimen und sonstigen Meinungen wirklich klar wird. Lieder transportieren Emotionen. Und darin war Steve Harley ziemlich gut. „All Men Are Hungry“ von seiner Solo-LP „Timeless Flight“ brachte mich den Tränen nahe. Lange bevor ich den Text wirklich verstand.

„Was in a frenzy from the midnight air when I saw the light.
I realized only children can live upon a timeless flight.
It made me hungry for youth and it made me sad and made me laugh.
To think that as we live and learn we only follow god's path.

All the men are hungry, all the men are in search of time.
All the men are hungry, all the men are in search of time…”

 

Zehn Tage brauchte Elton John, um seine LP “Caribou” einzuspielen. Darunter – wie man es bei ihm gewohnt war - echte Klassiker und eins meiner Lieblingslieder: „I’ve Seen The Saucers“. Ein typisches Beispiel für ein großartiges Lied mit einem großartigen Text und einem beeindruckenden Arrangement, das wahrscheinlich nicht öfter als siebzehn Mal im Radio lief – weltweit gesehen.

 

Als ich die LP das erste Mal hörte, war es wahrscheinlich „Ticking“, das mich am tiefsten berührte. Und „Don’t Let The Sun Go Down On Me“ ist auch drauf – ich weiß. Aber es sind andere Lieder, deren Melodien und Texte ich seit damals mit mir herumschleppe – inklusive des wohligen Schauers, wenn ich an sie denke: “You’re so Static”, “Grimsby”, „Dixie Lily“, „Solar Prestige A Gammon“ und das irritierende „I’ve Seen The Saucers“.

“I wouldn't fool you but I've seen the saucers
So many times I'm almost in tune
Watching them flying in formation
Thinking how I could be so immune

I've seen them I've been there with them
I can tell you all you want to know
Something touched me and I was only sleeping
Wouldn't you, wouldn't you like to go …”

Als ich das Lied hörte, dachte ich an John Lennon und seine Bemerkung über das UFO, das er 1974 gesehen haben will. Später verband ich damit mein Gefühl der totalen Isolation, das ich als Jugendlicher empfand. Ich war der Außerirdische, der jeden Kontakt zu seiner Heimat verloren hatte. Oder war ich der einzige „echte“ Mensch und befand ich mich in einer künstlichen Realität, wie sie Fassbinder in „Welt am Draht“ aufzeigte. Ich rechnete immer wieder damit, dass sich vor meinen Augen die Welt auflöste. Und war eine Zeitlang davon überzeugt, dass Orte, an denen ich noch nie gewesen war, gar nicht existierten. Bielefeld…! ?

Immer wieder maß ich den Texten mehr oder zumindest ebenso viel Bedeutung zu wie der Musik. Ich habe genug Menschen kennengelernt, denen die Texte völlig egal sind. Ich finde das traurig. Das ist doch etwa so, als würde man sich einen Van Gogh nur in schwarz-weiß ansehen. Oder man zieht sich die Paten-Trilogie ohne Ton rein. Ach nee. Lieder sind für mich immer dann am Besten, wenn Text und Musik eine perfekte Einheit bilden. Oder auf den ersten akustischen Blick so rein gar nichts miteinander zu tun haben.

So ging es mir mit „She’s As Beautiful As A Foot” von Blue Öyster Cult. Die Musik ein durch und durch geschmiertes Uhrwerk, der Text unbegreiflich:

“She's as beautiful as a foot,
she's as beautiful as a foot.
She heard someone say, the other day

Didn't believe it when he bit into her face,
didn't believe it when he bit into her face
It tasted just like a fallen arch.”

Für mich ist alles an diesem Lied leicht, alles schwingt. Eine musikalische Aorta – sozusagen. Was mich zurück bringt zu einer allgemeinen Betrachtung über diese Lieder. Immer wieder stelle ich mir (und anderen) CDs zusammen, auf denen sich Lieder aus der Frühzeit meiner musikalischen Wahrnehmung befinden. Meist höre ich sie im Auto, zu Hause komme ich nur noch selten dazu. Wenn sich dann Slade, Sweet und Co. an die Arbeit machen, ist das wie ein Rücksturz auf die Erde meiner Kindheit. Zurück in die Sechziger und Siebziger. Zurück in Sommerferien, die nie zu Ende gingen. Zurück in Stunden, die noch Stunden waren. Zurück zum Edeka-Laden der Oldenburgs, vor dessen Eingangstür Fischer, Rogge, Niebur und ich Schokoriegel, geriffelte Fanta-Flaschen und jede Menge noch längst nicht zu Ende gedachter Lebensweisheiten austauschten. Und: Es fühlt sich verdammt gut an. Besser noch: Es tröstet ein wenig darüber hinweg, dass ich nun doch nicht der Popstar geworden bin, den ich mir in den Siebzigern erträumte. Dafür bin ich der geworden, der ich bin. Und das ist auch ganz okay.

Eine solche Zusammenstellung ist  - ob auf Papier oder auf CD - eine Art Operation am offenen Herzen. Welches Lied bleibt drin, welches bleibt draußen? Warum ist nichts von Supertramp dabei? Warum erzähle ich nichts über die erste LP, die ich von meinem eigenen Geld gekauft habe? Und warum sind da so gar keine deutschen Interpreten zu finden?

Es hat alles seine Gründe. ;o)

Zu guter Letzt vielleicht noch einen Satz über die wohl wichtigste Eigenschaft eines guten Liedes: Es bringt Menschen zusammen. Vor kurzem war meine Ex-Frau Lisa bei uns zu Besuch. Und plötzlich hatte ich Lust auf „Highway Star“. Lisa und ich rockten das Wohnzimmer. Wirre Zuckungen, geschütteltes Haupthaar. Meine Kinder schauten so ungläubig, dass ich noch heute darüber lachen kann.

Und: Die Musik – vor allem die der Beatles – hat mir immer wieder neue Freunde beschert. Dafür werde ich jeder einzelnen Note auf ewig dankbar sein.

“Am I just a face in the crowd, is that all I'll ever be?
Don't want to be anything that isn't really me.
Mister, can you tell me who I am?
Do you think I stand out
Or am I just a face in the crowd?”